Thema: Onlinefreund mit Alexithymie und meine Zweifel

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Onlinefreund mit Alexithymie und meine Zweifel
03.06.2015 von Niji

Liebe Community,

seit nun ca. 5 Jahren chatte ich regelmäßig mit einem Jungen, der in einem anderen europäischen Land wohnhaft ist, im Internet. Er hat von Anfang an mit seiner hyperaktiven, dauer-fröhlichen Art gekünstelt und nervig auf mich gewirkt, aber da er damals noch sehr jung war habe ich es für jugendliche Albernheiten gehalten. Trotz allem mochte ich ihn auch auf eine Weise, die ich mir selber nicht richtig erklären kann, vermutlich faszinieren mich Menschen, die stets nur eine Art der Gefühlsregung zeigen. Jedenfalls war ich war oft hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, den Kontakt abzubrechen und der Abneigung dagegen. Als Folge habe ich mich zwar immer wieder zu Gesprächen hinreißen lassen, ihn jedoch oft herablassend / abweisend behandelt, zeitweise ignoriert oder ihn bewusst provoziert, um andere Reaktionen zu erhalten als nur spielerisches Geplänkel. Durch seine Art, tiefgründigen Gesprächen auszuweichen und nicht auf meine Probleme einzugehen, habe ich mich nur allzu oft "verarscht" gefühlt. Dazu muss gesagt werden, dass ich mich selber vermutlich am anderen Ende des Spektrums befinde - Höchstwahrscheinlich habe ich Borderline oder etwas Ähnliches, gepaart mit stark ausgeprägtem Helferkomplex.
Nun kann man sich lebhaft vorstellen wie es ist, wenn diese zwei Welten aufeinanderprallen.

Vor kurzem erst ist mir klargeworden, dass hinter all dem vermutlich eine Form der Alexithymie steckt. Zwar hatte ich vorher den Begriff "gefühlskalt" schon gehört, aber nie direkt von der doch häufig vertretenen Alexithymie als solcher.
Ich habe ihm erst kürzlich einen Alexi-Test geschickt, dessen Ergebnis tatsächlich auf dieses Persönlichkeitsmerkmal hindeutet. Sein Kommentar dazu war, dass ich es ja nun, wo ich es wisse, vielleicht besser verstehen könne.

Zu seiner Vorgeschichte muss ich sagen, dass ich nicht wirklich viel über seine Kindheit weiß, diese war einfach nie wirklich Thema. Allerdings hat ihn der Selbstmord einer ihm nahestehenden Person aus dem Internet nach eigener Aussage so niedergeworfen, dass er einen Zusammenbruch erlitt. Damals schickte er mir Gedichte, die er nach diesem Vorfall schrieb. Sie befassten sich mit seinen Gedanken zum Tod des Mädchens. Weniger als ein halbes Jahr später versuchte er dann selber sein Leben zu beenden, was jedoch misslang. Einige Wochen nach diesem Vorfall, so sagte er, hätte sich alles wieder erhellt und negative Gefühle seien seitdem kein großer Teil seines Lebens mehr. Er würde keine richtige Empathie mehr empfinden, man müsse quasi schon fast tot sein um bei ihm überhaupt noch eine Reaktion hervorrufen zu können und es würde ihm damit gutgehen. Dann wiederum meinte er, er wisse nicht einmal, ob er jemals wirkliche Gefühle hatte, oder schon immer nur so gut er konnte alles in seiner Umgebung kopiert hat.

Ich habe es in 5 Jahren nicht geschafft, ihn wirklich zu reizen, doch an dem Tag als das Thema Alexithymie zum ersten Mal aufkam und ich ziemlich stark nachhakte, wurde er wütend auf mich. Seine Begründung war u.a., dass ich ihn nicht hinstellen solle als würde er nicht richtig funktionieren und dass er nicht analysiert werden wolle. Doch wenn er so zufrieden mit seiner Situation ist, wieso triggern diese Fragen ihn dann? Handelt es sich hierbei um eine reversible Form der Alexithymie? Möchte er insgeheim vielleicht fühlen lernen? Ich verstehe halt grundsätzlich nicht, was einen gefühlsblinden Menschen den Kontakt zu einem komplett gegensätzlichen Menschen suchen lässt. Die Frage, wieso er trotz meiner doch für ihn anstrengenden Art immer wieder den Kontakt zu mir suchen würde, konnte er nicht eindeutig beantworten, außer damit dass ich ihn "verwirren" würde und einen gewissen Charme hätte - Als ob das etwas Positives wäre. Er hing wirklich ziemlich an mir, auch wenn er sich in letzter Zeit mehr abgekapselt hat und manchmal Dinge schreibt, die ich nicht mehr nachvollziehen kann und die mich teilweise verängstigen. Alles scheint nur noch auf Spaß in höchstem Maße ausgerichtet zu sein, es klingt oft einfach nur noch "irre".

Seit Jahren möchte er mich (in meiner Stadt) treffen, nicht andauernd, aber doch immer mal wieder. Ich habe schon mehrere Personen aus dem Internet getroffen, von denen einige mittlerweile zu meinen engsten Vertrauten gehören. Doch bei ihm bin mir einfach unsicher, habe sogar Angst es vielleicht mit einem potentiellen Kriminellen zu tun zu haben. Was würde jemanden ohne wirkliche Empathie davon abhalten, einen Mord zu begehen, vielleicht sogar wenn man sich in seiner eigenen Welt absurde Gründe und Rechtfertigungen dafür zurechtlegt? Ich glaube zwar schon dass er mich auf seine Weise noch mag, aber andererseits lese ich zeitweise Vorwürfe aus den Chats heraus, die Resultate meiner damaligen Abweisung zu sein scheinen. Wenn ich daraufhin versuche, ihm mein Verhalten zu erklären ("Ich hab es nicht besser gewusst, war überfordert und gekränkt") scheint ihn das überhaupt nicht zu interessieren oder er kann es nicht mehr nachvollziehen.

Außerdem redet er ständig davon, dass er Abenteuer (auch mit mir) erleben möchte, scheint stets auf der Suche nach Adrenalinschüben zu sein und auch vor Herausforderungen, die zum Tod führen könnten, nicht zurückzuschrecken. Ich kann verstehen wenn jemand auf jede Weise versucht, etwas zu empfinden, aber ich möchte ungern mit in unter Umständen perverse und gefährliche Spiele hineingezogen werden. Andererseits hatte ich niemals das Gefühl, es mit einem Straftäter oder Psychopathen zu tun zu haben - Viel eher mit einem grauenvoll gebrochenen Menschen auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. Beispielsweise scheint er sehr auf Umarmungen fixiert zu sein. Virtuelle und reale Umarmungen sind natürlich verschiedene Dinge, aber meine Frage ob er im real life gerne umarmt wird beantwortete er mit "I think, maybe". Wieso weiß man so etwas nicht? Die meisten Alexis wissen doch eigentlich, ob sie Nähe eher scheuen, erdulden, oder befürworten? Und welchen Nutzen hätte jemand davon, redundante Dinge in wiederholtem Maße anzuführen wenn sie ihm nichts bedeuten?

Ich könnte die Sache nun natürlich abhaken und meiner Wege gehen, aber ich habe Mitleid mit dieser Person und fühle mich schuldig für das, was ich früher getan habe. Ich bin an sich wie gesagt sehr darauf aus, anderen Leuten beizustehen und lasse sie gern ihre Probleme bei mir abladen. Aber bei ihm ist es eben aufgrund seiner Andersartigkeit nie dazu gekommen, dass ich auf ihn zugehen konnte. Vielleicht würde ein Treffen ihm helfen, signalisieren dass ich nicht der Feind bin, sondern mich für sein Leben interessiere. Eventuell könnte daraus ja eine Freundschaft oder zumindest Symbiose entstehen. Aber was wenn mein eigenes Leben dadurch in Gefahr gerät?
Bin gerade echt ratlos, es wäre fast schon Ironie des Schicksals wenn mich meine Sorge um andere unter die Erde bringt *lach* Verdientes Ende vermutlich. Oder aber ich bin vollkommen paranoid und ich fürchte Dinge, die ich nicht verstehe, irrational stark. Was sagt ihr zu der ganzen Sache?

zu mein Onlinefreund und meine Zweifel
13.07.2015 von sweetheart

hi
Ich habe auch solch einen Onlinefreund mit Alexithymie. Und vieles, was du sagst, kommt mir so ultrabekannt vor.
Vielleicht können wir uns einmal austauschen, das wäre super!
Ich weiß nicht, ob ich dir so manche Frage beantworten kann, aber ich empfinde vieles wie du in deinem Beispiel.
liebe Grüße
Martina

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