Thema: Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen

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Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
24.08.2012 von Anna

Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
24.08.2012 von Anna

Hallo,

ich bin Anna 28 Jahre und habe seit 3 1/2 Jahren eine Beziehung mit einem andersartigen netten Mann.
Christian und ich passten eigentlich ganz gut zusammen, weil er wohl auch einen Knacks weg hat, wenn
auch auf eine ganz andere Art und Weise wie ich. Nehmt mir die Formulierung nicht übel, ich mein das nicht böse,
aber jemand der 2-5 Minuten auf die ihm gestellte Frage keine Antwort weiß und mich anschweigt, halte ich
durchaus für etwas strange. ;-)
Dass es dazu ein, sagen wir "Persönlichkeitsbild" gibt, habe ich erst vor zwei Tagen erfahren und bin, wegen des
geringen Angebots an Informationsquellen natürlich gleich auf diese Seite gestoßen.

Ich habe sehr schnell gemerkt, dass er anders ist - sehr anders. Er bringt es fertig und antwortet auf Fragen
minutenlang nicht, es fällt ihm sichtlich schwer spontane Entscheidungen zu treffen, zumindest in Bezug
auf ein Thema mit welchem er sich nicht mind. einige Monate auseinander gesetzt hat.
Er hat auf die Frage: Geht es dir gut? Nur die Antwort: Jo.
Wie geht es dir? frage ich schon lange nicht mehr, weil er dann einfach nicht so recht weiß was er sagen soll.
Wenn ich das so schreibe muss ich immer wieder schmunzeln, weil er mir oft vorkommt wie ein fünfjähriger
Bub den man mit unverständlichen Fragen in "Verlegenheit" gebracht hat.
Das hat einfach was goldiges.

Anfangs fiehl es ihm schwer mit mir in der Öffentlichkeit zu sein, weil ich ein sehr lauter Mensch sein kann.
Wenn ich gut drauf bin und etwas lustig ist, dann lache ich wirklich sehr laut - ich glaube leise Lachen kann ich
gar nicht. ;-) Das hat ihn unsicher gemacht, weil so auch auf ihn Aufmerksamkeit gelenkt wurde und er eher
der Typ war der in der Masse untergehen und unbemerkt sein wollte.

Er kann stundenlang auf einer Familienfeier sitzen und kein einziges Wort mit jemandem wechseln. Er guckt
und hört nur zu, wie bei einem Schauspiel dass ihm dargeboten wird. Ich mache mir oft Gedanken, ob er
nun gerne integriert wäre, oder ob es ihm unangenehm ist. Und manchmal - sehr selten - durchbricht er
sogar diese Schemata und gibt zu irgendwas ein Kommentar ab. Hier handelt es sich aber nie um
zwischenmenschliche Themen.

Mir ist die Kinnlatte runtergefallen als ich die Beschreibung von Alexithymie gelesen habe, weil ich dachte:
wow, dass ist mein Freund und zwar zu etwa 95%.

Früher, bevor wir zusammen kamen, muss das wohl noch extremer ausgeprägt gewesen sein. Zumindest
laut der Erzählung seiner Exfreundin mit der wir uns gut verstehen. In den letzen 4 Jahren hat er immerhin
zweimal geweint, wobei es immer darum ging, dass er wohl Angst hatte mich zu verlieren. Er fällt in diesen
für ihn extremen Situationen in ein Kindschema zurück und ist dem was durchschnittliche Menschen als
Trauer und Verlustangst erleben völlig ausgeliefert. Das hatte dann auch ca 2-3 Stunden angehalten.

Verständlichersweise hat mich das enorm erschüttert und betrübt, weil ich das von ihm so gar nicht gewohnt
war. Das erste mal hat er einfach 3 Stunden geweint und kein einziges Wort gesagt. Bis heute kann ich nur
aus den Rahmenbedingungen schließen, was ihn so traurig gemacht hat.
Jetzt wo ich das schreibe merke ich selbst, wie traurig mich dass macht, dass er dermaßen traurig und ängstlich
gewesen sein muss und einfach kein einziges Wort darüber verlieren konnte.
Das zweite mal verlief schon etwas besser. Er konnte mir auf Fragen immerhin mit Ja oder Nein antworten.
Zumindest auf die meisten.

Ich muss sagen, ich hatte immer recht viel Geduld mit ihm auch wenn ich eigentlich ein ungeduldiger Mensch bin.
Aber er war es mir Wert darauf zu warten und ihm eine Chance zu geben sich zu äußern. Manchmal stelle ich ihm
auch Fragen in 3-4 Varianten, so dass er aus den Gemeinsamkeiten der Fragen ersehen kann, was eigentlich gemeint
ist. Damit kommen wir meist gut zurecht.

In der letzten Zeit habe ich gemerkt, dass ich öfter sauer wurde, richtig stinkig war, wenn er ständig "ok" oder
"ist mir egal" oder vergleichbares gesagt hat, ohne eine tatsächliche Meinung zu äußern.
Ich hatte fast schon das Gefühl dass er mich verärgern wollte. Aber ich glaub mir ist jetzt klar, dass er da
echt keine Meinung hat, wie andere vielleicht. Er macht sich über zwischenmenschliche Dinge einfach keine Gedanken.
Und wenn ich sage, heute gibt es Salat, dann gibt es Salat und wenn ich sagen heute gibt es Brot dann gibt es
in der Regel Brot...

Welche Frage sich mir stellt, seit ich eben klar habe, dass er tatsächlich anders ist wie andere, ist ob ich ihn
tatsächlich immer wieder mit zwischenmenschlichen bzw. Emotionsfragen penetrieren soll. Oder ihn zu Entscheidungen
"drängen" soll. Ich habe ihn schon oft unter Druck gesetzt, ihn konfroniert, ihn gefordert. Und ab und an ist
das auch von Erfolg gekrönt.
Aber ist das gut? Oder bedeutet das einfach nur Stress und nervt. Ihn kann ich nicht fragen - er weiß es ja nicht.
Auf die Frage bekäme ich keine Antwort.
Er weiß so einiges nicht. Wenn wir uns nicht sehen und er zu Hause beschäftigt ist, kommt es vor, dass er zwei drei
Tage quasi nichts isst, weil er einfach keinen Hunger hat...meint er zumindest. Gegenteiliges kann ich ihm natürlich
nicht nachweisen, aber so recht kann ichs mir nicht vorstellen ehrlich gesagt.

Er ist Informatiker - meiner Meinung nach der neben Mathematiker und Physiker denkbar beste Job für einen Alexithymen. ;-)
Das ist wenigsten eine Ebene auf welcher wir uns unterhalten können. Ich studiere Molekularbiologie und bin
daher immer mit Mathe, Physik und Chemie konfrontiert womit er sich gut auseinandersetzen kann.

Was ich schade finde und wirklich sehr bedauere ist, dass er vermutlich nie mit einem Problem zu mir kommen wird
weil er sich dessen schlichtweg nicht bewusst wäre. Ich habe gern ein offenes Ohr für Probleme meiner Lieben um mich
herum, deshalb frage ich ihn regelmäßig ob es ihm gut geht, ob ihm die Arbeit noch "Spaß" macht etc. Aber er sagt ja
immer nur "jo" und das wars dann. Ich werde wohl nie erleben, dass er sich mir emotional anvertraut wie das andere
tuen. Vermutlich hat sich bereits im Vergleich enorm anvertraut durch das zweimalige Weinen, was ich auch sehr
zu schätzen weiß.

Psychosomatisch hat er immer wieder leichte bis mittel schwere Kopfschmerzen, Verspannungen im Nacken und sieht regelmäßig kleine helle Blitze vor den Augen. Das haben wir auch schon beim Augenarzt abklären lassen, ist alles ok
mit dem Nerv, der Netzhaut etc. Noch belasten ihn diese Sachen nicht so extrem, aber was nicht ist kann vielleicht
noch werden.

Die Frage ist im Grunde ganz simpel: Was kann ich tun?
Ich möchte ihn nicht verändern, er ist ein lieber netter Mensch, zuverlässig, Ordnungs-liebend, und das bisschen Macke
krieg ich für mich schon hin. Aber ich möchte nicht, dass es irgendwann für ihn zum Problem wird. Denn er HAT Gefühle
auch wenn er sich derer nicht bewusst ist. Ich sehe manchmal den 5-jährigen Bub der so gern jemanden gehabt
hätte der mit ihm Angeln gegangen wäre, der sich mit ihm beschäftigt hätte. Ich weiß, dass das ihn ihm existiert und
gärt und ich möchte mein Bestes tun ihm zu Helfen irgendeine Art Ausdruck dafür zu finden, falls das möglich ist.

Ich weiß, das war jetzt viel viel Text, aber es tat gut, dass mal zusammen zu schreiben. Hut ab an alle die das
komplett gelesen haben. ;-)

Ach ja:
Ich habe oft das Gefühl er zieht positive Gefühle daraus zu sehen, dass ICH positive Gefühle habe.
zb geht er gerne mit mir in den Wildpark hier in der Nähe. Dort gibt es tolle Tiere (ich liebe Tiere) und
auch einen Streichelzoo mit kleinen Zieglein. Da bin ich hin und weg. Ich bin dann selbst wie eine 5-Jährige die
die kleinen Ziegen streichelt und füttert und sich freut wie ein Schneekönig. Das findet er ganz toll und grinst und
macht Fotos und wartet auch geduldig eine halbe Stunde bis ich da wieder rauskomme und total nach Ziegenbock
möffe. ;-)

Vielleicht kann sich ja jemand mit diesen Beschreibungen identifizieren. Wäre schön, sich ein bisschen austauschen
zu können.

Viele Grüße
Anna

Re: Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
24.08.2012 von Wanda

Hallo Anna,

in vielen Situationen, die Du beschrieben hast, erkenne ich meinen Partner wieder.
Spontane Entscheidungen...Fehlanzeige. Alles muss durchdacht, das Für und Wider abgewägt sein.
Spontane Antworten...zu manchen Themen ja, aber meist braucht er Zeit um sich die Antwort genau zu überlegen, so als ob er bloß nichts Falsches sagen möchte. Damit habe ich eigentlich kein Problem, denn ich mag Menschen nicht, die unbedacht drauf los plappern. Dann warte ich lieber eine Minute. Die Stille, die dann entsteht, empfinde ich inzwischen nicht mehr als komisch oder unangenehm. Manchmal hat er aber auch eine merkwürdige Taktik, der Antwort aus dem Weg zu gehen. Er wechselt unvermittelt das Thema. Ich grinse mir dann einen, lasse es manchmal durchgehen, aber wenn mir seine Antwort wichtig ist, hake ich nach und sage ihm auch, dass diese Taktik sehr einfach zu durchschauen ist. Geht es um Gefühlsdinge, versuche ich meine Fragen sehr präzise zu stellen. Ähnlich wie Du frage ich nicht allgemein "wie geht es Dir", sondern beziehe mich auf konkrete Situationen.
Ich habe meinen Freund noch nie weinen gesehen. Keine Ahnung, ob er es kann. Die emotionalste Beziehung hat er wahrscheinlich zu seinem Hund.
Ich frage mich auch oft, wie weit ich gehen kann. Wenn ich merke, dass mein persönliches Wohlergehen durch seine Verhaltensweisen gefährdet ist, gehe ich inzwischen ziemlich weit. Ich bin ein toleranter Mensch, aber manche Dinge sind für mich einfach nicht hinnehmbar und in einer Beziehung müssen beide glücklich sein, wenn sie funktionieren soll. Und beide müssen auch bereit sein, für den anderen über den eigenen Schatten zu springen, wenn es nötig ist. Ich halte nichts davon, jahrelang meine Bedürfnisse zu unterdrücken um dann möglicherweise irgendwann zu "explodieren".

Lieben Gruß
Wanda

Re: Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
25.08.2012 von Anonym

Hallo,

[quote:1ynqyxen]Er hat auf die Frage: Geht es dir gut? Nur die Antwort: Jo.[/quote:1ynqyxen]
Meine Antwort: Normal.

[quote:1ynqyxen]weil er mir oft vorkommt wie ein fünfjähriger Bub den man mit unverständlichen Fragen in "Verlegenheit" gebracht hat. Das hat einfach was goldiges.[/quote:1ynqyxen]
Das ist IMHO eine völlig falsche Sicht.

[quote:1ynqyxen]Anfangs fiehl es ihm schwer mit mir in der Öffentlichkeit zu sein, weil ich ein sehr lauter Mensch sein kann.[/quote:1ynqyxen]
Alexithyme versuchen sich gerne sozial unauffällig zu verhalten. Im Mittelpunkt zu stehen, ist ihnen peinlich. Mir sind Glückwünsche schon zu viel Aufmerksamkeit.

[quote:1ynqyxen]Er fällt in diesen für ihn extremen Situationen in ein Kindschema zurück und ist dem was durchschnittliche Menschen als Trauer und Verlustangst erleben völlig ausgeliefert. Das hatte dann auch ca 2-3 Stunden angehalten.[/quote:1ynqyxen]
Von Gefühlen übermannt zu werden, ist für Alexithyme meiner Meinung nach auf keinen Fall typisch.

[quote:1ynqyxen]In der letzten Zeit habe ich gemerkt, dass ich öfter sauer wurde, richtig stinkig war, wenn er ständig "ok" oder "ist mir egal" oder vergleichbares gesagt hat, ohne eine tatsächliche Meinung zu äußern. Ich hatte fast schon das Gefühl dass er mich verärgern wollte. Aber ich glaub mir ist jetzt klar, dass er da echt keine Meinung hat, wie andere vielleicht.[/quote:1ynqyxen]
Kannst du nicht akzeptieren, dass „ok“ oder „ist mir egal“ seine Meinung ist?

[quote:1ynqyxen]Er kann stundenlang auf einer Familienfeier sitzen und kein einziges Wort mit jemandem wechseln.[/quote:1ynqyxen]
Immerhin geht er hin.

[quote:1ynqyxen]Ich habe ihn schon oft unter Druck gesetzt, ihn konfroniert, ihn gefordert. Und ab und an istdas auch von Erfolg gekrönt.
Aber ist das gut?[/quote:1ynqyxen]
Penetrieren, unter Druck setzen, fordern usw. hört sich zu stark an. Warum nicht normal fragen und seine Antworten respektieren?

[quote:1ynqyxen]Aber ich glaub mir ist jetzt klar, dass er da echt keine Meinung hat, wie andere vielleicht.[/quote:1ynqyxen]
Vielleicht spiegeln seine Antworten ja seine Meinung.

[quote:1ynqyxen]Er macht sich über zwischenmenschliche Dinge einfach keine Gedanken.[/quote:1ynqyxen]
Bist du sicher?

[quote:1ynqyxen]Und wenn ich sage, heute gibt es Salat, dann gibt es Salat und wenn ich sagen heute gibt es Brot dann gibt es in der Regel Brot.[/quote:1ynqyxen]
Warum auch nicht?

[quote:1ynqyxen]Welche Frage sich mir stellt, seit ich eben klar habe, dass er tatsächlich anders ist wie andere, ist ob ich ihn tatsächlich immer wieder mit zwischenmenschlichen bzw. Emotionsfragen penetrieren soll. Oder ihn zu Entscheidungen "drängen" soll. Ich habe ihn schon oft unter Druck gesetzt, ihn konfroniert, ihn gefordert. Und ab und an ist das auch von Erfolg gekrönt.Oder bedeutet das einfach nur Stress und nervt.[/quote:1ynqyxen]
In der Form des Penetrierens vermutlich.

[quote:1ynqyxen]Ihn kann ich nicht fragen[/quote:1ynqyxen]
Natürlich kannst du ihn fragen.

[quote:1ynqyxen]er weiß es ja nicht.[/quote:1ynqyxen]
Natürlich weiß er das.

[quote:1ynqyxen]Auf die Frage bekäme ich keine Antwort.[/quote:1ynqyxen]
Stimmt.

[quote:1ynqyxen]Er weiß so einiges nicht.[/quote:1ynqyxen]
Woher weißt du das?

[quote:1ynqyxen]Die Frage ist im Grunde ganz simpel: Was kann ich tun?[/quote:1ynqyxen]
Du solltest zunächst für dich klären, worum es dir wirklich geht. Wenn alles Bestens ist und du prima mit seinen Macken klar kommst, dann hättest du dich doch nicht mit Alexithymie beschäftigt, dabei zufällig festgestellt, dass er später Gesundheitsprobleme bekommen könnte und dich nur deshalb hier gemeldet. Dann kann man auf gezielte Fragen besser antworten.

[quote:1ynqyxen]Vielleicht kann sich ja jemand mit diesen Beschreibungen identifizieren.[/quote:1ynqyxen]
Einige seiner Verhaltensweisen kommen mir jedenfalls bekannt vor, wenn du das meinst.

Grüße

Re: Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
03.09.2012 von Schlecki

Hi, Anna!
Nun hatte ich hier einen so langen Text geschrieben, und dann bin ich plötzlich ausgeloggt (ohne eigenes Zutun) und der Text war weg, ätzend, echt!
Da ich keine Lust habe, eine Stunde lang alles nochmal zu schreiben, hier die Kurzfassung:
Ich bin der Marcus, bin 38 und lebe in Hamburg.
Ich selbst bin NICHT alexithym!
Meine wesentlichen Fragen an dich waren:
1.) wie kann man eine Beziehung / Partnerschaft mit einer alexithymen Person eingehen? Ich meine, wie habt ihr zueinandergefunden? Denn ich für meinen Teil könnte andersherum keine Partnerschaft führen mit einer Frau, die auf meine Gefühle nicht eingeht und sie stattdessen ignoriert.
2.) Wie nimmt ein alexithymer Mensch Musik (insbesondere "Schmuse-Lieder") war? Wie reagiert er auf Musik? Wie geht er mit sonstigen sinnlichen Erlebnissen um?
Ja, das war die Kurzfassung.
Würde mich über eine Reaktion freuen!
Liebe Grüße,
Marcus

Re: Erlebnisbericht und Fragen einer Angehörigen
04.09.2012 von Wanda

Hallo Schlecki,

Du bist also nicht alexithym, hast auch keinen alexithymen Partner/in und bist ganz zufällig auf das Thema gestoßen. Aha!
Mal ehrlich...warum schreibst Du hier? Wofür recherchierst Du?

Wanda

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