Thema: Langjährige Erfahrung

Deutsches Alexithymie Forum > Betroffene und Angehörige

Langjährige Erfahrung
21.10.2012 von Jette

Langjährige Erfahrung
21.10.2012 von Jette

Hallo,
ich bin neu in diesem Forum und begeistert, dass es sowas gibt. Ich lebe seit 15 Jahren mit einem Alexi zusammen, die ersten drei Jahre waren die schwersten und auch traurigsten, so dass ich mich selbst frage wie ich das eigentlich ausgehalten habe oder warum ich mir das angetan habe. Danach gab es mal einen Bericht im Spiegel, der für mich wie eine Offenbarung war. Das war also das Problem, es ging mir danach etwas besser. Ich versuche mal zu beschreiben wie meine Zeit so lief:
Die ersten drei Jahre:
Wir hatten uns im Ing.-Studium kennengelernt, und viel miteinander für Klausuren etc. gelernt. Ich habe mich in ihn verliebt und nachdem ihm Kollegen die Sachlage :-) erklärten begann tatsächlich unsere Beziehung. Ich glaube ausschlaggebend war für ihn, dass ich gut in Mathe war und wir beide gute Studienarbeiten abliefern konnten. Da meine Eltern Alkoholiker waren und ich nur von Zuhause weg wollte zog ich nach einer Woche bei ihm ein. Es war also Anfangs wirklich eine Art Zweckbeziehung, aber ich habe ihn zusätzlich noch geliebt. Ich war nun kein Mauerblümchen und hatte viele Erfahrungen mit Männern, aber er brachte mich mit seiner Art an den Rand des Wahnsinns. Händchenhalten ging, Zungenküsse nicht, GV ging, Berührungen unterhalb des Nabels nicht. Alles wenn überhaupt ausgesprochen selten und dann auch nur schnell, sauber, kühl und präzise (kein Vor- und kein Nachspiel erst recht keinen O.). Ich habe nächtelang neben ihm geweint, aber das Schlimmste war der beginnende Ekel vor sich selbst, seinen eigenen Körper unperfekt zu finden, die scheinbare Lieblosigkeit und Interessenlosigkeit, überwog das Gefühl der Unbefriedigung noch viel stärker.
Das 4.-8. Jahr:
Ich weiß jetzt was er hat. Ich kann die Situation anfangen zu akzeptieren. Wir sind die besten Freunde, mit gleichen Interessen und auch großem sozialen Engagement. Wir mögen Tiere, Natur, Reisen, Farben und Kunst, Sachbücher, Surfen, gutes Essen, ähnliche Musik etc. Wir erscheinen für Aussenstehende wie das perfekte Paar und doch führen wir eigentlich nur eine platonische Beziehung, aber auch keine Zweckbeziehung mehr. Ich erkenne in kleinen Gesten seine Liebe (du hast da was im Haar, warte...oder, uns geht es aber gut...). Meine früheren sexuellen Erfahrungen kamen mir nun selber schon pervers vor. Die Erinnerungen daran verblassten. Mir schien, das Liebe und Sex doch stark überbewertet wird. Man wird selber gefühlskalt.
Das 8.-14. Jahr:
Ich bin schwanger (sein grösster Wunsch Familie und Kinder, das sagte er mir schon an unserem ersten Tag, und in seinen Augen hatte ich ja auch eine gebärfreudige Figur, nun ja vorherige Männer fanden das eher weiblich:-). Nach acht Jahren traf ich alleine, für mich und dem ungeborenem Kind, erstmals die bewusste, überlegte und abgewogene Entscheidung mit ihm zusammenzubleiben. Dem gingen drei einsame Tage am Strand voraus, er suchte mich nicht, erst nach telefonischer Drohung ihn mit dem ungeborenen Kind zu verlassen kam er mich holen. Ich warf ihm all seine Kälte und die Unfähigkeit Liebe zu zeigen vor. Er sagte so bin ich, ich kann es nicht ändern. Er flog für Studien in den Jemen, ich wartete im 8. Monat auf ihn. Ich war stark genug notfalls auch alles alleine zu schaffen und ich hatte mich an seine Art gewöhnt. Nach der Geburt war unser asexuelles Verhalten für mich vollkommen Ok. Er nahm Erziehungsurlaub und konnte mit dem Baby besser umgehen als ich. Er zeigte mehr Geduld und nahm mir auch sonst vieles ab, ich glaube er war zum ersten mal glücklich, da er sein großes Ziel erreicht hatte (ich glaube ich fühlte mich wie eine Gefangene). Wir arbeiten viel, bauen ein Haus am Stadtrand und unser Leben ist objektiv betrachtet perfekt. Die sexuelle Frustration schwand mit den Jahren der gemeinsamen Partnerschaft. Wir sind wie ein altes Ehepaar, wir waren schon immer dort, wo andere Paare sich erst nach 10 Jahren wiederfinden, was hätten wir also vermissen sollen.
Seit einem Jahr:
Ich habe eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen. Alles Fehlende bricht wieder auf. Ich weine wieder viel, mein Freund reagiert zunehmend genervt auf meine Gefühle. Er sagt, mach was du willst, aber gib nicht mir die Schuld und denk an unser Kind, der Rest ist mir egal.
Ich will niemanden unglücklich machen, aber diese Affäre zeigt mir worauf ich all die Jahre verzichtet habe, ich stehe wieder am leidvollen Anfang und nach meiner bisherigen Erfahrung muss ich sagen, alle die überlegen eine Beziehung zu solch einen Menschen aufzubauen, sucht euch etwas besseres... es kostet zu viel Tränen. Was ich jetzt genau mach weiß ich nicht, aber es tat gut all das einmal aufzuschreiben. Vielleicht können andere von meinen Erfahrungen profitieren.

LG
Jette

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